2015-05-21

Neue Auflage der Google-Poesie

Es wird mal wieder Zeit für eine neue Auf‌lage der Google-Poeſie.

Engliſch

Als Aufwärmübung wie gehabt das Engliſche. Dieſes Mal iſt ab der vierten Rücküberſetzung ins Deutſche ein Zweier-Paar von ſtabilen Verſionen entſtanden, nämlich wie folgt:

Hälfte des Lebens1/Lebenshälfte2

Hänget mit gelben Birnen und voll von wilden Rosen Das Land in den See, ihre ſchönen Schwänen und betrunken nüchternen Kopf Küſſen unter Waſſer im heiligen Wasser.

Weh mir, wo ich tun, wenn es Winter iſt, die Blumen, und wo die Sonne und Schatten der Erde? Die Mauern ſtehen ſprachlos und kalt; der Wind Rassel.

Half of Life1/half of Life2

Hangeth with yellow pears and full of wild roses The land in the lake, her beautiful swans and drunk sober head kissing under water in the holy water.

Woe is me, where I do if it's winter, the flowers, and where the sun and shadow of the earth? The walls stand speechless and cold; the wind rattle.

Burmeſiſch

Als neue Übung nun eine Sprache, von der ich kein Wort verſtehe, die ich aber um ihre ſchöne Schrift bewundere, nämlich das Burmeſiſche.

Hier iſt nun etwas Unerwartetes geſchehen: Zum erſten Mal in dieſen Google-Poeſien ſah es danach aus, als wäre keine ſtabile Verſion zu erreichen. Ab der elften Rücküberſetzung ins Deutſche hatte zwar die zweite Strophe eine ſtabile Verſion erreicht, aber bei der erſten ſah es lange nicht danach aus. Ich habe aber nicht aufgegeben, und ſiehe da, am Schluſs hat es doch noch geklappt. Ab der fünfzigſten Rücküberſetzung ins Deutſche war eine ſtabile Verſion erreicht. Und da iſt ſie:

Halbwertszeit

Öffentliche Bevölkerungsdichte, nüchtern, klar, Aromen, das Land mit den gelben Metallmöbel und Werbefachleuten.

In der Tat, im Schatten der Erinnerung, und wir müssen an einem dunklen Ort zu arbeiten, fühlen Sie sich kalt im Winter. Sagte.

ဘဝတစ်ဝက်

ပြည်သူ့လူဦးရေသိပ်သည်းဆ, သမ္မာသတိရှိကြလော့, ရှင်းရှင်းလင်းလင်းအနံ့, အဝါရောင်သတ္တုပရိဘောဂနှင့်ကြော်ငြာပညာရှင်များနှင့်အတူတိုင်းပြည်။

တကယ်တော့ချက်မှတ်ထားမှု၏အရိပ်၌၎င်း, ကျနော်တို့မှောင်မိုက်အရပ်၌အလုပ်လုပ်ကိုင်ဖို့လိုတယ်, သင်ဆောင်းရာသီတွင်အအေးခံစားကြရသည်။ ကပြောပါတယ်။

Gedichtanalyſe

Die Engliſche Verſion iſt im Vergleich mit der letzten von vor drei Jahren – ſiehe Mehr Google-Poeſie – von geringerem poetiſchem Wert. Erſtaunlich iſt der Gebrauch von Achaiſmen wie hangeth/hänget ſowie die eigenwillige Großſchreibung.

Intereſſant iſt die Idee von heiligem Waſſer unter Waſſer. Geht es um verſchiedene Arten von Waſſer, die ineinander enthalten ſind?

Die burmeſiſche Verſion – bei der ich leider nur die deutſche Überſetzung beurteilen kann – iſt hingegen von einer beeindruckenden Abſtraktheit, die an konkrete Poeſie gemahnt. Schon der Titel Halbwertszeit eröffnet vielſagende Bedeutungsperſpektiven. Die erſte Strophe entwirft ein hartes, techniſches Bild. Die Erwähnung von Aromen weiſt jedoch darüber hinaus. Iſt der Schweiß der dichten Bevölkerung gemeint, ſo entſteht ein lebhafter Kontraſt zur nüchternen Klarheit. Oder iſt es vielmehr der metalliſche Geruch der Möbel?

Die zweite Strophe ſtellt der erſten einen völlig anderen Ton entgegen. Schatten, Dunkelheit und der kalte Winter. Das elliptiſche ſagte, womit das Gedicht ſchließt, ſteht da wie ein Fragezeichen.

2012-04-03

Mehr Google-Poeſie

Wieder einmal die Poeſie des Google-Tranſlators, dies‌mal mit leicht veränderten Spielregeln, nämlich ſo:

  1. Aus‌gangs‌text wählen;
  2. Text in Zielſprache überſetzen;
  3. Text in Aus‌gangs‌ſprache zurücküberſetzen;
  4. 2. und 3. ſo lange wiederholen, bis eine ſtabile Verſion entſteht.

Engliſch

Mit dem fünften Hin-und-Her-Überſetzen ins Engliſche iſt folgende ſtabile Verſion entſtanden:

Half of Life

With yellow pears hangs down and the land full of wild roses in the sea, her lovely swans kissing drunk and sober, his head dipped in holy water.

Oh, where do I do if it is winter, the flowers, and where the sunshine and shadow of the Earth? The walls stand speechless and cold, the wind shook flags.

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen nach unten hängt und das Land voll mit wilden Roſen im Meer, ihr holden Schwäne küſſen betrunken und nüchtern, tauchte ſeinen Kopf in das Weihwaſſer.

Oh, wo ſoll ich tun, wenn es Winter, die Blumen, und wo der Sonnenſchein und Schatten der Erde iſt? Die Mauern ſtehn Sprachlos und kalt, der Wind ſchüttelte Fahnen.

Franzöſiſch

Im Franzöſiſchen iſt ebenfalls nach fünfmal Hin-und-Her-Überſetzen die folgende Verſion entſtanden:

Half Life

Baigné avec des poires jaunes et est plein de roses sauvages dans le pays, le lac, les cygnes, vraiment en état d'ébriété et sobre embrassé sa tête dans l'eau bénite.

Oh, où suis-je faire quand c'est l'hiver, les fleurs et le soleil et l'ombre de la terre? Les murs se dressent muettes et froid, le vent le drapeau vagues.

Half Life

Gebadet mit gelben Birnen und iſt voll mit wilden Roſen auf dem Land, der See, Schwäne, richtig betrunken und nüchtern küſs‌te ſeinen Kopf in das Weihwaſſer.

Oh, wo ſoll ich tun, wenn es Winter, die Blumen und die Sonne und der Schatten der Erde iſt? Die Mauern ſtehn Sprachlos und kalt, der Wind Wellen die Flagge.

Jiddiſch

Im Jiddiſchen hat es keine einheitliche ſtabile Verſion gegeben, ſondern eine doppelte, in der Art eines doppelten Attraktors, dafür aber ſchon beim dritten Hin und Her:

העלפט פון לעבן

פּאָר פון געל כאַנגגינג אַראָפּ און סובמערגעד1/סאַבמערדזשד2 לאַנד פול פון ווילד רויזן אין דער אָזערע, איר שיינע סוואַנז, שיקער און געקושט איר קאָפּ אין הייליק וואַסער פּלימעניצע.

טאַקע, ווו טאָן איך טאָן אויב עס איז ווינטער, די בלומען, און ווו די זונשייַן און שאָטן פון דער ערד? די ווענט שטיין ספּיטשלאַס און קאַלט, דער ווינט ראַטאַלינג1/ראַטטלינג2 די פּלאָגן.

Die Hälfte des Lebens

Paar gelbe hängend nach unten und untergetaucht1/Submerged2 Land voll mit wilden Roſen in den See, ihr holden Schwäne, betrunken und gekuſht ihren Kopf in Weihwaſſer Nichte.

Wirklich, wo ſoll ich tun, wenn es Winter, die Blumen, und wo der Sonnenſchein und Schatten der Erde iſt? Die Mauern ſtehn Sprachlos und kalt, der Wind Rattling1/klappern2 die Peſt.

Vergleiche

Die engliſche Verſion iſt verglichen mit den beiden anderen etwas holprig („nach unten hängt“). Dafür ergibt ſich die intereſſante Frage, wer denn das Subjekt von „tauchte“ iſt. Könnte es vielleicht das dichteriſche Ich ſelber ſein, das hier zu uns ſpricht?

Die franzöſiſche Verſion iſt die ſinnlichſte der drei. Hier heißt es „richtig betrunken“, und das Küſſen erfolgt nicht ziellos, ſondern richtet ſich auf „ſeinen“ Kopf. Darüber hinaus verleiht der engliſche Titel dem Gedicht eine friſche Note.

Die jiddiſche Verſion wartet nicht nur mit exotiſierender Lexik auf („gekuſht“), ſondern führt als ein überraſchendes Moment die „Nichte“ ein, die leider in den übrigen Verſionen unterſchlagen iſt und die gewiſs bei der Interpretation eine zentrale Rolle ſpielt.

Es ſteht außer Zweifel, daſs zum ſpezifiſchen äſthetiſchen Wert der drei Verſionen noch vieles mehr aus‌zuführen wäre, aber da ich nicht Pierre Menard bin, ſehe ich nun von weiteren Erwägungen ab.

2011-11-06

Frakturſchrift und Purismus – eine unheilige Allianz

Mit Intereſſe habe ich gerade Thomas Niehrs Aufſatz „Frakturſchrift und Purismus – eine unheilige Allianz“ geleſen. Darin ſetzt er ſich kritiſch mit dem Bund für deutſche Schrift und Sprache (BfdS) auseinander.

Zuſammenfaſſung

Zunächſt (S. 185 f.) legt Niehr dar, daſs von den vom BfdS angeführten vier „Vorzüge(n) der deutſchen Schrift“ (vgl. da) kein einziger fundiert iſt, und daſs ſie ſowieſo nur dann auch wirklich Vorzüge wären, wenn die deutſche Schrift noch immer gelehrt würde.

Sodann führt er mit verſchiedenen Belegen aus, daſs der BfdS in der Nazi-Zeit nicht etwa unpolitiſch im Hintergrund blieb, ſondern überzeugt auf der konſervativ-nationalen Welle mitritt. Dieſe Tatſache werde vom heutigen BfdS ausgeblendet, und zwar hinter dem bequemen Feigenblatt, daſs er 1941 aufgelöst wurde, vgl. Niehr (S. 188):

Wenn der BfdS ſich auf ſeiner Internetpräſenz heute als eine von den Nazis verfolgte Organiſation darſtellt, dann kann man in der Tat nur feſtſtellen, daſs hier jemand „dank Naziverbot in der Gloriole der Réſiſtance mit dem Anſpruch auf Wiedergutmachung hauſieren [kann]“ (Rück 1993: 260).

Weiter ſtellt Niehr feſt, daſs die gebrochenen Schriften heut‌zutage eben nun einmal mit den Nazis aſſoziiert werden, auch wenn das dem BfdS nicht gefällt, vgl. Niehr (S. 191 f.):

So wie alſo beſtimmte Wörter beſtimmte Konnotationen haben und beſtimmte Aſſoziationen hervorrufen können, […] ſo können auch Schriftarten ein ‚Image‘ bekommen. Dies trifft einerſeits auf ſolche Schriftarten zu, die wir mit beſtimmten Produkten oder Konzernen verbinden, […] andererſeits – zumindeſt in Deutſchland – auch auf die Frakturſchrift. […] Das Nationalſozialiſtiſche iſt dieſen Schriftarten alſo nicht inhärent, ſondern kann allenfalls durch einen beſtimmten Gebrauch mit ihnen aſſoziiert werden. Und genau das iſt den Frakturſchriften in Deutſchland widerfahren.

Schließlich zeigt Niehr auf, daſs ſich hinter der Sprach- und Schriftpflege des BfdS rechte, national-konſervative Verſchwörungstheorien verbergen, etwa an der Stelle, wo er auf das Argument des BfdS eingeht, in Deutſchland ſei – anders als bei Arabern, Chineſen, Griechen, Iſraeli oder Ruſſen – „kein Kultusminiſter bereit, der deutſchen Schrift den zum Überleben erforderlichen Platz in der Schule einzuräumen“ (vgl. da) (S. 196):

Auch hier wird wieder ein Topos aktiviert, nach dem andere Völker ihre Intereſſen zu wahren verſtehen, während lediglich die Deutſchen fahrläſſig oder ſogar mutwillig ihr überliefertes Kulturgut preisgeben. Sowohl deutſche Sprache wie auch „deutſche Schrift“ erweiſen ſich nach dieſer Vorſtellung als vom Ausſterben bedroht. Dieſes Ausſterben ſcheint allerdings von „gewiſſen Perſonenkreiſen“ – hierzu zählen offenbar auch die Kultusminiſter in Deutſchland – nicht nur in Kauf genommen, ſondern ſogar aktiv betrieben zu werden.

Meine Meinung zu Niehrs Aufſatz

Niehr ſpricht mir aus der Seele! Ich begrüße es ſehr, daſs fundierte Kritik am BfdS geübt wird. Ich hatte bei dieſer Organiſation ein ungutes Gefühl, hätte es aber nicht auf den Punkt bringen können.

Ich bin mir ſehr wohl bewuſst, daſs die Fraktur mit den Nazis aſſoziiert wird. Mit meiner Propagierung der Fraktur würde ich gerne erreichen, daſs die Fraktur den Nazis weggenommen wird. Gewiſs kann ich als einzelner dabei nicht viel erreichen, aber ich kann wenigſtens vormachen, daſs ich die Fraktur propagieren kann, ohne dabei in Reviſionismus zu verfallen und ohne die ach ſo armen Deutſchen zu Opfern irgendwelcher Verſchwörungen zu ſtiliſieren. Wir Deutſchen waren nicht die Opfer, ſondern wir Deutſchen waren die Täter! Dieſer Tatſache muſs und will ich ins Auge blicken. Mit Selbſthaſs oder Schuldgefühlen hat das nichts zu tun, ſondern mit Ehrlichkeit und Aufklärung.

Literatur

Niehr, Thomas (2009): „Frakturſchrift und Purismus – eine unheilige Allianz. Die Re-Ideologiſierung von Schriftarten im 21. Jahrhundert“. In: Eliſabeth Birk, Jan Georg Schneider (Hgg.): Philoſophie der Schrift. Reihe Germaniſtiſche Linguiſtik 285. Tübingen: Max Niemeyer. S. 183 – 201.

Rück, Peter (1993): „Die Sprache der Schrift – Zur Geſchichte des Frakturverbots von 1941“. In: Jürgen Baurmann u. a. (Hgg.): homo scribens. Perſpektiven der Schriftlichkeitsforſchung. Tübingen: Max Niemeyer, S. 231–272. Zitiert aus zweiter Hand nach Niehr.

2011-10-06

Das lange ſ in LaTeX

Kürzlich bin ich auf das Problem geſtoßen, wie ſich ein langes ſ in LaTeX eingeben läſst, und zwar nicht in Fraktur, ſondern in gewöhnlicher Antiqua.

Das Merkwürdige war, daſs zwar das lange ſ in Latin Modern figuriert, der Standardſchriftart für LaTeX, aber daſs es ſich gar nicht ſo einfach produzieren läſst.

Ich habe zwei Methoden gefunden:

  1. Das lange ſ mit XeLaTeX (oder LuaLaTeX)
    \documentclass{article}
    \usepackage{fontspec} 
    \begin{document}
    Langes s: ſ
    \end{document}
  2. Das lange ſ mit LaTeX
    \documentclass{article}
    \usepackage{kpfonts}
    \begin{document}
    Langes s: {\fontfamily{jkpvos}\selectfont{}s}
    \end{document}

Ich habe keine Möglichkeit gefunden, wie das lange ſ aus der Standardſchriftart Latin Modern in gewöhnlichem LaTeX produziert werden könnte. Um allfällige Hinweiſe wäre ich dankbar!

Siehe dazu auch:


P.S.

Dank Ulrike Fiſcher – vielen Dank! – auf comp.text.tex kenne ich nun eine Möglichkeit, wie das lange ſ von Latin Modern mit latex produziert werden kann:

\documentclass{article}
\usepackage[TS1,T1]{fontenc}
\usepackage{lmodern}
\begin{document}
Langes s: {\fontencoding{TS1}\selectfont\char115}
\end{document}


P.P.S.

Gemäſ‍s Robin Fairbairns – ebenfalls auf comp.text.tex – iſt die Methode mit xelatex vorzuziehen, weil dabei das lange ſ als richtiger Buchſtabe behandelt wird, und nicht als Spezialzeichen. Das ermöglicht normale Worttrennung ꝛc.

2011-08-24

Schweizer Werte, auf die man (trotz SVP) ſtolz ſein kann

In der kürzlich erſchienenen Kontext-Sendung Wenn das Thema «Heimat» die Spalten füllt hat Kurt Imhof einen überraſchenden Befund dargelegt: Niemand ſpricht mehr von den zentralen Werten, die aus dem Innern der Schweiz heraus entſpringen. Früher machten dieſe Werte die Schweizer Identität aus und den Stolz, zur Schweiz zu gehören.

Warum ſind dieſe zentralen Schweizer Werte verloren gegangen? Schuld iſt die SVP. Die SVP hat eine neue Schweizer Identität ins Geſpräch gebracht. Dieſe SVP-Identität der Schweiz beruht nicht mehr auf den eigenen Schweizer Werten, ſondern nur noch auf der Abgrenzung gegen das Ausland und auf dem Heraufbeſchwören einer inexiſtenten Idealſchweiz. Die SVP-Identität der Schweiz iſt alſo zum einen völlig vom Ausland abhängig, zum anderen ſo künſtlich wie die Suiſſe miniature.

Die vom Ausland unabhängigen und real exiſtierenden Schweizer Werte ſind:

  • Unſere moderne Demokratie, die ſeit über 160 Jahren beſteht und damit weit älter iſt als die der Nachbarländer;
  • die SBB mit ihren großartigen Ingenieurleiſtungen, die der SVP zum Trotz noch immer ausgebaut und verbeſſert werden, und die hervorragende Poſt;
  • die hochwertige Infraſtruktur;
  • die grüne Energie mit zahlreichen gewaltigen Staumauern;
  • Menſchenrechte, Grundrechte, Freiheitsrechte, worin die Schweiz eine Vorreiterrolle hat;
  • das rote Kreuz und die humanitäre Tradition;
  • die Konkordanz, d.h. die äußerſt erfolgreiche Kultur des Miteinanders, die heute ſo ſehr von der SVP angegriffen wird.

Koſovaren ſchlitzen Schweizer auf – Iſlamkritiker bringen Kinder um

Ein ſchlimmes Verbrechen wird verübt, und der politiſche Herr der SVP ſagt, man dürfe dieſes Verbrechen nicht inſtrumentaliſieren. Ein anderes ſchlimmes Verbrechen wird verübt, und die SVP inſtrumentaliſiert es.

Wo liegt der Unterſchied? Richtig: Im Hintergrund des Täters. Bei ausländerfeindlichen Tätern iſt die SVP gegen eine Inſtrumentaliſierung, bei ausländiſchen Tätern iſt ſie für eine Inſtrumentaliſierung.

Ich wünſche mir Politiker, die alle Verbrechen gleichermaßen verurteilen und die keine Verbrechen inſtrumentaliſieren. Die Behauptung „Koſovaren ſchlitzen Schweizer auf“ iſt genauſo entſetzlich und haarſträubend wie die Behauptung „Iſlamkritiker bringen Kinder um“.

2011-08-08

Der inſtrumentaliſierte Inſtrumentaliſierer. Ein Rätſel-Trauerſpiel

Hier ein kleines Rätſel-Trauerſpiel. Wer es aufmerkſam durchliest, findet die Antwort auf die Rätſelfrage.

Rätſelfrage: Vertritt der Verteidiger den Iſlam oder vertritt er die SVP (oder eine andere rechtspopuliſtiſche Partei)?


Der inſtrumentaliſierte Inſtrumentaliſierer

Des Trauerſpiels Perſonen:

  • Die Anklage
  • Der Verteidiger

(Nachdem ein entſetzlicher Terroranſchlag geſchehen iſt.)

Die Anklage: Der Anſchlag hat es bewieſen: Ihr vertretet eine terroriſtiſche Ideologie.

Der Verteidiger: Wir vertreten keine terroriſtiſche Ideologie, ſondern unſere gerechte und wahre Überzeugung. Man muſs unbedingt differenzieren zwiſchen den echten Vertretern unſerer Überzeugung, die Gewalt ablehnen, und den irregeleiteten Terroriſten.

Die Anklage: Aber eure Überzeugung hat einen Nährboden für Terrorismus geſchaffen.

Der Verteidiger: Sie inſtrumentaliſieren da ein Verbrechen, um unſere Überzeugung ſchlechtzumachen. So einen fieſen rhetoriſchen Trick weiſen wir entſchieden zurück.

Die Anklage: Diſtanziert euch wenigſtens ausdrücklich von dem Terroriſten.

Der Verteidiger (ausweichend): Wozu denn? Der Terroriſt vertritt ja gar nicht unſere Ideologie, ſondern iſt doch nur geiſtesgeſtört. Es gibt alſo überhaupt nichts, wovon wir uns zu diſtanzieren bräuchten.


Auflösung der Rätſelfrage: Der Verteidiger vertritt die SVP (oder eine andere rechtspopuliſtiſche Partei), und nicht den Iſlam, denn ein Vertreter des Iſlams hätte ſich ausdrücklich vom Terrorismus diſtanziert, und nicht bei mutmaßlichen Krankheiten Ausflucht geſucht.

In der idealen Welt, wo die Leute auf Argumente hören, würde jetzt ein Vertreter der SVP ſeine erſtaunliche Nähe zum Iſlam erkennen. Schockiert darüber, daſs er mit einem Mal ſelber das Opfer der Inſtrumentaliſierung eines Verbrechens geworden iſt, würde er zukünftig ſelber keine Verbrechen mehr inſtrumentaliſieren. Von nun an würde er vorſichtiger Reden, damit ſeine Überzeugung nicht mehr als Aufruf zur Gewalt miſsverſtanden werden könnten.

In der realen Welt wird der Vertreter der SVP hartnäckig ſeine erſtaunliche Nähe zum Iſlam überſehen. Die Inſtrumentaliſierung von Verbrechen wird er gleichzeitig verurteilen, wo er ſelber zum Opfer wird, und unbeirrt weiterbetreiben, wo er ſeine Gegner zum Opfer machen kann. Wann immer ſeine Rede von einem entſetzlichen Terroriſten als Aufruf zur Gewalt miſsverſtanden wird, macht er es ſich einfach und ſtempelt den Terroriſten als Geiſteskranken ab, um ſich nicht diſtanzieren zu müſſen.

Der SVPler macht also weiter wie bisher. Zu hoffen iſt nur, das die eine oder andere Perſon, die bloß zum Proteſt für die SVP geſtimmt hat, deren widerſprüchliche Haltung zum Terrorismus durchſchaut und zukünftig eine löſungsorientierte Partei wählt.