2011-11-06

Frakturſchrift und Purismus – eine unheilige Allianz

Mit Intereſſe habe ich gerade Thomas Niehrs Aufſatz „Frakturſchrift und Purismus – eine unheilige Allianz“ geleſen. Darin ſetzt er ſich kritiſch mit dem Bund für deutſche Schrift und Sprache (BfdS) auseinander.

Zuſammenfaſſung

Zunächſt (S. 185 f.) legt Niehr dar, daſs von den vom BfdS angeführten vier „Vorzüge(n) der deutſchen Schrift“ (vgl. da) kein einziger fundiert iſt, und daſs ſie ſowieſo nur dann auch wirklich Vorzüge wären, wenn die deutſche Schrift noch immer gelehrt würde.

Sodann führt er mit verſchiedenen Belegen aus, daſs der BfdS in der Nazi-Zeit nicht etwa unpolitiſch im Hintergrund blieb, ſondern überzeugt auf der konſervativ-nationalen Welle mitritt. Dieſe Tatſache werde vom heutigen BfdS ausgeblendet, und zwar hinter dem bequemen Feigenblatt, daſs er 1941 aufgelöst wurde, vgl. Niehr (S. 188):

Wenn der BfdS ſich auf ſeiner Internetpräſenz heute als eine von den Nazis verfolgte Organiſation darſtellt, dann kann man in der Tat nur feſtſtellen, daſs hier jemand „dank Naziverbot in der Gloriole der Réſiſtance mit dem Anſpruch auf Wiedergutmachung hauſieren [kann]“ (Rück 1993: 260).

Weiter ſtellt Niehr feſt, daſs die gebrochenen Schriften heut‌zutage eben nun einmal mit den Nazis aſſoziiert werden, auch wenn das dem BfdS nicht gefällt, vgl. Niehr (S. 191 f.):

So wie alſo beſtimmte Wörter beſtimmte Konnotationen haben und beſtimmte Aſſoziationen hervorrufen können, […] ſo können auch Schriftarten ein ‚Image‘ bekommen. Dies trifft einerſeits auf ſolche Schriftarten zu, die wir mit beſtimmten Produkten oder Konzernen verbinden, […] andererſeits – zumindeſt in Deutſchland – auch auf die Frakturſchrift. […] Das Nationalſozialiſtiſche iſt dieſen Schriftarten alſo nicht inhärent, ſondern kann allenfalls durch einen beſtimmten Gebrauch mit ihnen aſſoziiert werden. Und genau das iſt den Frakturſchriften in Deutſchland widerfahren.

Schließlich zeigt Niehr auf, daſs ſich hinter der Sprach- und Schriftpflege des BfdS rechte, national-konſervative Verſchwörungstheorien verbergen, etwa an der Stelle, wo er auf das Argument des BfdS eingeht, in Deutſchland ſei – anders als bei Arabern, Chineſen, Griechen, Iſraeli oder Ruſſen – „kein Kultusminiſter bereit, der deutſchen Schrift den zum Überleben erforderlichen Platz in der Schule einzuräumen“ (vgl. da) (S. 196):

Auch hier wird wieder ein Topos aktiviert, nach dem andere Völker ihre Intereſſen zu wahren verſtehen, während lediglich die Deutſchen fahrläſſig oder ſogar mutwillig ihr überliefertes Kulturgut preisgeben. Sowohl deutſche Sprache wie auch „deutſche Schrift“ erweiſen ſich nach dieſer Vorſtellung als vom Ausſterben bedroht. Dieſes Ausſterben ſcheint allerdings von „gewiſſen Perſonenkreiſen“ – hierzu zählen offenbar auch die Kultusminiſter in Deutſchland – nicht nur in Kauf genommen, ſondern ſogar aktiv betrieben zu werden.

Meine Meinung zu Niehrs Aufſatz

Niehr ſpricht mir aus der Seele! Ich begrüße es ſehr, daſs fundierte Kritik am BfdS geübt wird. Ich hatte bei dieſer Organiſation ein ungutes Gefühl, hätte es aber nicht auf den Punkt bringen können.

Ich bin mir ſehr wohl bewuſst, daſs die Fraktur mit den Nazis aſſoziiert wird. Mit meiner Propagierung der Fraktur würde ich gerne erreichen, daſs die Fraktur den Nazis weggenommen wird. Gewiſs kann ich als einzelner dabei nicht viel erreichen, aber ich kann wenigſtens vormachen, daſs ich die Fraktur propagieren kann, ohne dabei in Reviſionismus zu verfallen und ohne die ach ſo armen Deutſchen zu Opfern irgendwelcher Verſchwörungen zu ſtiliſieren. Wir Deutſchen waren nicht die Opfer, ſondern wir Deutſchen waren die Täter! Dieſer Tatſache muſs und will ich ins Auge blicken. Mit Selbſthaſs oder Schuldgefühlen hat das nichts zu tun, ſondern mit Ehrlichkeit und Aufklärung.

Literatur

Niehr, Thomas (2009): „Frakturſchrift und Purismus – eine unheilige Allianz. Die Re-Ideologiſierung von Schriftarten im 21. Jahrhundert“. In: Eliſabeth Birk, Jan Georg Schneider (Hgg.): Philoſophie der Schrift. Reihe Germaniſtiſche Linguiſtik 285. Tübingen: Max Niemeyer. S. 183 – 201.

Rück, Peter (1993): „Die Sprache der Schrift – Zur Geſchichte des Frakturverbots von 1941“. In: Jürgen Baurmann u. a. (Hgg.): homo scribens. Perſpektiven der Schriftlichkeitsforſchung. Tübingen: Max Niemeyer, S. 231–272. Zitiert aus zweiter Hand nach Niehr.